Zur wasserwirtschaftlichen und ökologischen Situation der Netteseen und speziell des großen De-Witt-Sees
Ein Beitrag des Netteverbandes zur aktuellen Diskussion
(Stand: 09/2021)
Inhalt:
- Einleitung
- Rahmenbedingungen: Europäische Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL), Klimawandel und Aufgaben des Netteverbandes
- Umsetzung der EG-WRRL durch den Netteverband
- Entwicklung des großen De-Witt-Sees
- Ist die Entschlammung des großen De-Witt-Sees die Lösung aller Probleme?
1) Einleitung
In den letzten Monaten sind im Rahmen mehrerer Zeitungsartikel (z.B. in der Rheinischen Post vom 10.08, 14.08 und 04.09.2021), Unterschriftenlisten sowie einem vor Ort verteilten Positionspapier immer wieder der Zustand von Nette und Netteseen und speziell des großen De-Witt-Sees thematisiert worden. Als Urheber trat eine sich selbst als Interessengemeinschaft bezeichnende Gruppe auf, die bislang ausschließlich über ihren Sprecher Herrn Leo Beskes an die Öffentlichkeit getreten ist und deren weitere Mitglieder, zumindest uns, unbekannt sind.
Eine Reihe von den in der Zeitung und dem Positionspapier wiedergegebenen Aussagen der Interessensgemeinschaft sind dabei unserer Meinung nach ungenau, manche sind falsch! Gleiches gilt auch für die daraus resultierenden Anschuldigungen an den Netteverband und die Biologische Station Krickenbecker Seen.
Der Netteverband möchte diverse Behauptungen der Interessengemeinschaft richtig stellen, um es so interessierten und besorgten Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu ermöglichen, sich ein differenzierteres Bild über die Situation und Probleme der Netteseen zu machen. Hierzu wurde von uns bereits mit Unterstützung der Stadt Nettetal ein am 27.08.2021 in der Rheinischen Post veröffentlichter Artikel initiiert, in dem neben Biologischer Station und Netteverband auch Vertreter der Kreises Viersen zu den von der Interessensgemeinschaft erhobenen Anschuldigungen Stellung genommen haben. Ergänzend und ausführlicher wollen wir auch an dieser Stelle nochmals auf die Behauptungen und Anschuldigen eingehen. Inhaltlich orientieren wir uns an den von der Interessengemeinschaft angesprochenen Punkten, weshalb die Darstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Eins möchten wir hierbei vorwegnehmen: Die Netteseen sind kein einfach zu beschreibendes oder vorhersagbares Ökosystem. Dies wird durch zahlreiche in den letzten Jahrzehnten von verschiedenen Trägern durchgeführte Untersuchungen an den Seen bestätigt, deren Ergebnisse durchaus nicht immer eindeutig sind. Die nachfolgenden Ausführungen können daher leider nur oberflächlich auf einige wenige Sachverhalte eingehen, welche tatsächlich aber sehr viel komplexer sind. Für weitergehende Fragen und eine ernsthafte geführte Diskussion stehen wir aber gerne zur Verfügung.
Der große De-Witt-See. Eine gefährdete Idylle?
2) Rahmenbedingungen: Europäische Wasserrahmenrichtlinie, Klimawandel und die Aufgaben des Netteverbandes
Bevor wir konkret auf die Seen und speziell den großen De-Witt-See eingehen, werden wir einige für die Wasserwirtschaft wichtige Rahmenbedingungen kurz erläutern, auf die sich auch die Interessengemeinschaft mehrfach bezieht.
Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL)
Eine wichtige rechtliche Grundlage für den Gewässerschutz ist die seit 2001 gültige EG-Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL). Sie gibt den EU-Staaten hohe Qualitätsziele für alle Gewässer und das Grundwasser vor. Für Fließgewässer und Seen sind dies der gute ökologische Zustand bzw. das gute ökologische Potenzial, als leicht vermindertes Ziel bei besonders stark vom Menschen veränderten Gewässern. Um die Ziele zu erreichen, müssen wieder mehr Fische, Kleinstlebewesen und Pflanzen in den Gewässern leben. Die jeweils relevanten Tier- und Pflanzenarten unterscheiden sich nach der Art der Gewässer. Festgelegt werden sie in sogenannten Leitbildern, welche das Land NRW verbindlich vorgibt. Alle späteren Maßnahmen sind also bereits im Vorfeld auf ganz konkrete ökologische Zielvorgaben fixiert.
Klimawandel
Der Klimawandel stellt in den letzten Jahren eine zunehmend wichtige Rahmenbedingung für die Bewirtschaftung von Gewässern dar.
Wie Studien des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) zeigen, gibt es bereits heute einen nachweisbaren durchschnittlichen Temperaturanstieg von ca. 1,5 °C in Nordrhein-Westfalen! Der Klimawandel ist also definitiv schon bei uns angekommen! Eine vorausgesagte Folge des Temperaturanstieges ist eine Häufung von extremen Wetterereignissen, die, nicht nur nach unserer Beobachtung, in den letzten Jahren auch am Niederrhein zugenommen haben.
Auf der einen Seite ist es hier in den Jahren 2018-2020 zu sehr trockenen Sommern gekommen, mit der Folge, dass z.B. der Unterlauf der Nette mehrfach über längere Zeit trockengefallen ist. Ursächlich hierfür war die durch die langanhaltende Trockenheit ausgelöste Wasserknappheit, welche aber durch hohe Verdunstungsraten der Netteseen an heißen Sommertagen verstärkt wurde. Hinzu kommt die Entnahme von Wasser aus Oberflächengewässern und dem Grundwasser für landwirtschaftliche Zwecke, wobei leider auch mehrfach illegale Entnahmen festgestellt wurden. Zusammengefasst haben fehlende Niederschläge, hohe Verdunstungsraten, sinkende Grundwasserstände und teilweise Wasserentnahmen dazu geführt, dass der Unterlauf der Nette nicht mehr ausreichend mit Wasser versorgt werden konnte.
Die andere Seite der "Medaille" Klimawandel sind extreme Starkregenereignisse, wie sie im Sommer 2021 zu den katastrophalen Hochwässern an Ahr und Erft geführt haben. Vergleichbare Regenmengen sind auch schon am Niederrhein gefallen (z.B. 2016 im Raum Xanten), aufgrund der Lage im Tiefland und dem geringen Gefälle sind hier allerdings nicht so extreme Auswirkungen wie in der Eifel und im Ahrtal zu erwarten.
Eine aus dem Klimawandel resultierende wesentliche Aufgabe für die Wasserwirtschaft liegt folglich darin, mit den im Jahresverlauf immer stärker und mitunter kurzfristig schwankenden Abflussmengen quantitativ und vor einem ökologischen Hintergrund auch qualitativ umzugehen.
Fast ausgetrocknete Nette bei Wachtendonk 2018.
Aufgaben des Netteverbandes
Vor dem skizzierten Hintergrund und aufgrund seiner gesetzlichen und satzungsgemäßen Aufgaben hat der Netteverband als zuständiger Wasser- und Bodenverband im Nettegebiet die Pflicht, einerseits ökologische Vorgaben aus der EG-WRRL umsetzen zu müssen, andererseits weiterhin dafür zu sorgen, dass die Entwässerung durch die Oberflächengewässer in einem relativ dicht besiedelten und intensiv genutzten Einzugsgebiet wie dem der Nette funktioniert. Neben hohen ökologischen Anforderungen, muss also nach wie vor der ordnungsgemäße Abfluss gesichert bleiben, damit Nutzungen (z.B. Siedlung, Verkehr, Landwirtschaft) im Umfeld der Gewässer auch zukünftig möglich sind. Durch den Klimawandel wird der Anspruch hierfür noch erhöht, weil a) die abfließenden Wassermengen schwerer einzuschätzen sind und b) durch bislang am Niederrhein unbekannte Formen sommerlicher Trockenheit ausgeprägte und langanhaltende Niedrigwasserperioden entstehen, deren ökologische Folgen bislang noch nicht vollständig abschätzbar sind.
3) Umsetzung der EG-WRRL durch den Netteverband
Bei der EG-WRRL obliegt es dem Netteverband auf Grundlage der vorgegebenen Leitbilder durch Verbesserung der sog. Gewässerstruktur wieder mehr naturnahe Lebensräume in den Gewässern zu schaffen (z.B. durch Renaturierungsprojekte) sowie die Durchwanderbarkeit für Wasserorganismen wiederherzustellen (z.B. durch den Bau von Fischaufstiegsanlagen). Dabei hat der Netteverband die Umsetzung der EG-WRRL von Anfang an sehr ernst genommen! So wurden in den vergangenen 15 Jahren erfolgreich zahlreiche Projekte im Verbandsgebiet umgesetzt. Dies geschah selbstverständlich immer in Abstimmung mit Anliegern, Genehmigungsbehörden, Bezirksregierung und anderen Beteiligten. Viele Informationen zu diesen Projekten finden Sie hier. Finanziert wurden die Maßnahmen übrigens überwiegend mit Fördergeldern des Landes NRW, was natürlich auch eine fachlich-inhaltliche Prüfung beinhaltete. Zur Abstimmung der Maßnahmen wurde unter Beteiligung der Öffentlichkeit 2010-2012 ein sog. Umsetzungsfahrplan erarbeitet.
Netteseen und EG-WRRL
Die Seen im Nettegebiet stellen bei der Umsetzung der EG-WRRL eine Besonderheit dar, da sie nicht in die vom Land NRW standardisierten Bewertungsvorgaben passen. So werden die Seen einerseits offiziell als Fließgewässer behandelt, da sie nicht die in der EG-WRRL festgelegte Mindestgröße für Seen erfüllen, andererseits können die für Fließgewässer gesetzten Ziele hier so nicht erfüllt werden! Zur Lösung dieses Problems hat der Netteverband 2017 zusammen mit der Bezirksregierung Düsseldorf, dem LANUV NRW, der Biologischen Station Krickenbecker Seen und dem Kreis Viersen die Bewertungskriterien für die Netteseen angepasst und allgemeine wasserwirtschaftlich-ökologische Ziele erarbeitet.
Im Ergebnis herrschte unter allen beteiligten Experten Einigkeit darüber, dass weitere Entschlammungen zur Erreichung der Ziele der EG-WRRL nicht notwendig sind. Als ökologisches Leitbild für die Entwicklung wurde ein natürlich nährstoffreicher (eutropher), wasserpflanzenreicher Flachsee festgelegt, wobei auch historische Zustände aus den 1920er Jahren berücksichtigt wurden, als die Netteseen für ihre lehrbuchartige Vegetationsabfolge unter Experten berühmt waren. Wir reden hier also über einen vom Menschen noch wenig gestörten Zustand, der die natürliche Verlandung der Seen berücksichtigt.
Grundsätzlich unterliegen alle Seen einem natürlichen Verlandungsprozess. Die entscheidende Frage ist vielmehr, wie schnell die Verlandung abläuft und welchen Beitrag der Mensch daran hat? Vor diesem Hintergrund stellen wir bereits an dieser Stelle fest, dass die von der Interessensgemeinschaft unterstellte Absicht, die Seenlandschaft an der Nette in ein Niedermoor umzuwandeln, weder vom Netteverband, noch von anderen Institutionen verfolgt wird.
Einbringung von Totholz
Eine wesentliche leitbildkonforme Maßnahme zur Umsetzung der EG-WRRL ist das Einbringen von Totholz. Totholz umfasst Zweige, Äste, Baumstubben oder auch ganze umgestürzte Bäume im Gewässer, die für viele Lebewesen einen Lebensraum und eine Nahrungsquelle bilden und in Verbindung mit strömendem Wasser weitere Lebensräume wie Unterstände, Kolke oder Sandbänke im Gewässer schaffen. Totholz dient als sog. Strukturelement in Gewässern also ganz wesentlich den Zielen der EG-WRRL!
Ohne Berücksichtigung dieses Zusammenhangs, behauptet die Interessensgemeinschaft, dass massiv Totholz und Bäume in Nette und Nebengewässer eingebracht wurde, wodurch die Fließgeschwindigkeit drastisch verringert wird, mit der Folge, dass „frühere Bäche und natürliche Zuläufe“ die Netteseen nicht mehr erreichen und diese daher verlanden.
Im Rahmen der oben geschilderten Maßnahmen hat der Netteverband tatsächlich Totholz eingebracht. Teilweise aktiv, teilweise passiv, in dem Totholz nicht wie früher automatisch bei der Gewässerunterhaltung entfernt wird. Dies geschieht allerdings nicht unkontrolliert, vielmehr gilt es Anforderungen der EG-WRRL mit dem oben geschilderten ordnungsgemäßen Abfluss zu verbinden!
So wird Totholz in vielen Bereichen, wo wir es für erforderlich halten, nach wie vor entfernt. Bei Renaturierungen wird es vor Verdriftung gesichert, zudem werden renaturierte Bereiche einerseits aufgeweitet, damit bei Hochwasser mehr Wasser durchfließen kann, andererseits werden Niedrigwasserrinnen angelegt, damit der mitunter geringe sommerliche Abfluss in unterhalb liegende Bereiche abläuft.
In die Nette-Seen wurde von unserer Seite bislang kein Totholz aktiv eingebracht. Jedoch werden umgestürzte Bäume oder herabgefallene Äste, wo dies wasserwirtschaftlich unkritisch ist, nicht mehr entfernt. Ziel ist es auch hier, Lebensräume in Form naturnäherer Seeufer für Fische und andere Tiere herzustellen.
Der Vorwurf, dass durch Totholzeinbau die Zuläufe die Netteseen nicht mehr erreichen, ist unrichtig, gleiches gilt für die Behauptung, dass hierdurch die Seen bewusst verlandet werden!
Totholz ist ein wichtiges Element zur Umsetzung der EG-WRRL und wird bei Renaturierungen gezielt eingebracht und gesichert.
4) Entwicklung des großen De-Witt-Sees
Gewässergüte
Zur Gewässergüte der Netteseen und speziell des großen De-Witt-Sees liegen aus den letzten Jahrzehnten diverse Untersuchungen verschiedener Träger mit unterschiedlichen Schwerpunkten vor. Es ist nicht möglich, diese Arbeiten an dieser Stelle auszuwerten! Um die Entwicklung der Güte des De-Witt-Sees dennoch vereinfacht darstellen zu können, bieten sich exemplarisch die seit über 10 Jahren im See wieder reichlich vorkommenden Wasserpflanzen an.
Nach unserer Beobachtung kam es 2009 am De-Witt-See zum ersten Mal zu einer Massenentwicklung der sog. Wasserpest (Elodea nuttallii). Dies führte wiederum zu erheblichen Nutzungseinschränkungen für die am See tätigen Vereine, weswegen die Pflanzen in der Öffentlichkeit vielfach negativ empfunden wurden. Ähnliche Entwicklungen waren etwa im gleichen Zeitraum am Schroliksee und am Poelvennsee zu beobachten.
Diese für die Nutzer sicherlich negative Entwicklung, wurde allerdings von Vertretern des Natur- und Gewässerschutzes durchaus begrüßt. Zwar entsprachen die Dominanzbestände der Wasserpest nicht den Leitbildern der EG-WRRL, dass sich nach Jahrzehnten allerdings überhaupt wieder nennenswerte Wasserpflanzenbestände entwickelten, zeigte aber definitiv eine verbesserte Gewässergüte an, da das Wasser vorher zu trüb war, um am Boden wachsenden lichtabhängigen höheren Wasserpflanzen als Standort zu dienen. Hinzu kommt, dass das zu beobachtende Artenspektrum seit 2009 deutlich zugenommen hat. So sind mittlerweile neben der nicht in Europa heimischen Wasserpest, auch heimische Wasserpflanzen, wie verschiedene Arten von Armleuchteralgen und Laichkräutern zu beobachten.
Grundsätzlich profitieren viele aquatische Organismen von den Wasserpflanzen (z.B. Muscheln, Schnecken, Krautlaicher, Wasservögel), da diese Nahrung, Schutz (z.B. für Jungfische) und Fortpflanzungsmöglichkeiten bieten. Der von der Interessengemeinschaft erhobene Vorwurf, dass sich der Zustand von großem und kleinen De-Wittsee so negativ verändert hat, dass „tausende Lebewesen und deren Laichgebiete absterben“, trifft nicht zu, wie uns auch die Biologische Station Krickenbecker Seen bestätigte.
Massenvorkommen von Wasserpflanzen. Schlecht für die Nutzer, gut für das Gewässer?
Die am Beispiel der Wasserpflanzen erläuterten Verbesserungen waren möglich, weil sich die Reinigungsleistung der Kläranlagen Dülken und Breyell sowie anderer abwassertechnischer Anlagen seit den 1990er Jahren erheblich verbessert hat. So wurden in beiden Kläranlagen effektive Einrichtungen zur Eliminierung von Phosphor als wesentlichen für die zunehmende Eutrophierung verantwortlichen Pflanzennährstoff errichtet. Auch der Bau von Regenklärbecken und Retentionsbodenfiltern leistet hierfür einen wichtigen Beitrag, gleiches gilt für die, durch den Netteverband an mehreren Stellen angelegten Uferstreifen, welche den Sedimenteintrag in die Gewässer vermindern helfen.
Ist somit an den Netteseen und am großen De-Witt-See alles in Ordnung? Auf diese Frage hat der Netteverband in den letzten Jahren immer die gleiche Antwort gegeben: Nein!
Ungeachtet aller bisherigen Fortschritte ist die externe Zufuhr von Nährstoffen in die Netteseen nach wie vor zu hoch! Neben den Abwassereinleitungen kommunaler Träger, welche trotz der aufgezeigten Verbesserungen immer noch bedeutsam sind, müssen als Quellen auch Einleitungen von Straßen sowie Einträge von landwirtschaftlichen Nutzflächen genannt werden. Einen wichtigen Hinweis auf die Problematik, geben die seit vielen Jahren an den Netteseen vorkommenden spätsommerlichen Blüten sog. Blaualgen (richtig Cyanobakterien). Diese zeigen einen hohen Nährstoffgehalt des Wassers, in Verbindung mit einem jahreszeitlich bedingten geringeren Wasseraustausch und hohen Wassertemperaturen an. Obwohl dies auch in den trockenen Sommern 2018-2020 nicht passiert ist, kann bei extremen Ausprägungen der Blaualgenblüten, ein „Umkippen“ einzelner Seen, also die Folgen von erheblichen Sauerstoffdefiziten, mit damit verbundenen Fisch- und Artensterben, grundsätzlich nicht vollständig ausgeschlossen werden. Ob dieses Problem allerdings mit einer Entschlammung gelöst werden kann, halten wir für zweifelhaft, vielmehr ist die weitere Reduzierung der Nährstoffquellen im Einzugsgebiet notwendig. In diesem Zusammenhang hat der Niersverband die Phosphoreliminierung der Kläranlage Dülken in den letzten Jahren erheblich verbessert, in Breyell ist sogar der komplette Neubau der vorhandenen Kläranlage geplant. Zudem sind weitere Retentionsbodenfilter in der Planung. Von diesen Maßnahmen ist eine weitere Verbesserung der Gewässergüte der Nettessen zu erwarten.
„Blaualgenblüte“ am Großen De-Witt-See 2012
Entwicklung der Wassertiefe des großen De-Witt-Sees seit 1960
In den Aussagen der Interessengemeinschaft finden sich mehrfach Angaben zu ehemaligen Wassertiefen des De Wittsees. So wird eine vor ca. 40 Jahren vorhandene Durchschnittstiefe von 4,50 m mit maximalen Tiefen von 6,5 bis 7,0 m genannt. Hierzu liegen angeblich Unterlagen bei allen maßgeblichen Behörden vor.
Tatsächlich liegen beim Netteverband folgende Untersuchungen vor:
- Tiefenvermessungen des Niersverbandes aus den Jahren 1960 (mit insgesamt 200 Einzelmessstellen) und 1970 (mit insgesamt 247 Einzelmessstellen)
- Im Auftrag des damaligen Landesumweltamtes NRW vom „Institut für angewandte Ökologie und Gewässerkunde“ im Jahr 2001 per Echolot erstellte Tiefenkarte.
- Im Auftrag des Netteverbandes vom Büro „DIE GEWÄSSEREXPERTEN“ 2021 durchgeführte Echolotvermessung.
Die Daten des Niersverbandes von 1960 zeigen eine damalige mittlere Wassertiefe von 1,56 m an, welche bei den Untersuchungen 1970 auf 1,45 m zurückgegangen war. Hierbei wurden an lediglich 3% der Messstellen Wassertiefen von mehr als 2,00 m (maximal 2,70 m) gemessen. Die 2001 und 2021 flächenhaft mit einem Echolot ermittelten Vermessungen zeigen, dass die mittlere Wassertiefe in letzten 20 Jahren bei ca. 1,30 m stagniert und nicht nennenswert weiter angenommen hat. Die von der Interessengemeinschaft genannte mittlere Wassertiefe des 4,50 m, lässt sich aus den vorliegenden Untersuchungen nicht bestätigen, auch nicht die maximalen Tiefen von bis zu 7 m.
Weitergehend belegen die Ergebnisse des Niersverbandes, dass der ursprüngliche Seegrund, welcher unmittelbar nach der Austorfung ohne Schlamm vorhanden war, im Mittel bei ca. 2,25 m lag. Dokumentiert sind kleinere Bereiche, an denen die ursprünglichen Wassertiefen, mehr als 3,00 m (ca. 15 % der Messstellen) bzw. mehr als 4,00 m betrugen (ca. 1% der Messstellen).
Zusammenfassend zeigen die Daten, dass insbesondere in den 1960er und -70er Jahren eine deutliche Verschlammung des Großen De-Witt-Sees stattgefunden hat. Die in diesem Zusammenhang aber eigentlich relevante Frage wurde bereits weiter oben angesprochen: Schreitet die Verschlammung weiter so voran wie in der Vergangenheit? Die vorliegenden Untersuchungen von 2001 und 2021 zeigen, dass sich die weitere Verschlammung des Sees verlangsamt hat. Auf dieser Grundlage geht der Netteverband davon aus, dass der Bestand des großen De-Witt-Sees unter den aktuellen Verhältnissen, langfristig nicht gefährdet ist.
Abnahme der Wasservögel?
Nach Angaben der Interessensgemeinschaft hat die Anzahl der Wasservögel an den Seen drastisch abgenommen. Ist dies wirklich so? Die Biologische Station Krickenbecker Seen zählt die Wasservögel auf den vier Krickenbecker Seen und den beiden De-Witt-Seen seit 1989 regelmäßig. Auf unsere Nachfrage teilte uns die Bio-Station mit, dass Veränderungen der Artenzusammensetzung über längere Zeiträume natürlich sind, wobei es viele Arten mit einer positiven Bestandsentwicklung gibt. Durchschnittlich sind mehr als 1.000 Vögel ganzjährig auf den genannten Seen anzutreffen, am 16.08.2021 waren es 1.191 Wasservögel, die 18 Arten angehörten. Eine generelle Abnahme der Wasservögelpopulation hat demnach nicht stattgefunden!
Der De-Witt-See als Hochwasserschutzraum und die Stauanlage Nettekuhlen
Die zwischen 1965 und 1993 erfolgten Entschlammungen der oberen Netteseen sowie der Kälberweide erfolgten wesentlich mit der Begründung eines verbesserten Hochwasserschutzes und wurden umfangreich mit Mitteln des Landes NRW gefördert *). Hierbei ist aber zu beachten, dass die Anfang der 1970er Jahre ursprünglich vorhandene große fachübergreifende Zustimmung zu den Entschlammungen im Laufe der Zeit immer mehr abgenommen hat. Neben einem veränderten Umweltbewusstsein und erheblich gestiegenen gesetzlichen Anforderungen, kam hinzu, dass sich der Hochwasserschutz als wesentliche Legitimationsgrundlage immer schwieriger begründen ließ.
Im jetzigen Zustand kann der große De-Witt-See bei einer Größe von 24 ha und einer maximalen Stauhöhe von 0,16 m (siehe unten) bei einem hundertjährigen Hochwasser ca. 38.400 m³ Wasser zusätzlich zurückhalten (sog. Retentionsvolumen). Bei einer Entschlammung würde dieser Rückhalteraum allerdings nicht vergrößert, da das vertiefte Seebecken ganzjährig mit Wasser gefüllt wäre. Da gleichzeitig die vorhandenen Wasserspiegellagen aufgrund der Aufrechterhaltung von Nutzungen nicht verändert werden dürften, wäre der zusätzliche Effekt für den Hochwasserschutz nahezu null. Eine Entschlammung des großen De-Witt-Sees aus Hochwasserschutzgründen ist folglich nicht erforderlich, weil kein zusätzliches Retentionsvolumen entsteht!
Die Regulierung des Seewasserstandes mit den dargestellten Stauhöhen erfolgt über die am Seeauslauf gelegene Stauanlage Nettekuhlen. Hier erhebt die Interessengemeinschaft den Vorwurf, dass ca. 80% des Abflusses aus dem großen De-Witt-See in die Nettekuhlen sowie in nicht weiter spezifizierte Biotope abgegeben wird. Nachfolgend wollen wir Bau und Funktionsweise der Wehranlage erklären, um zu belegen, dass dieser Vorwurf falsch ist.
Stauanlage Nettekuhlen: Gesteuerte Abgabe von Wasser aus der Nette in die tiefer liegenden Nettekuhlen
Die Stauanlage wurde in der heutigen Form Ende der 1990er Jahre errichtet, um das damalige alte, baufällige und nicht steuerbare Abschlagbauwerk aus der Nette in die tiefer liegenden Nettekuhlen zu ersetzen. Dem Bau vorausgegangen war ein Planfeststellungsverfahren, bei dem Bau und Betrieb der Anlage mit Zustimmung des damaligen Staatlichen Umweltamtes Krefeld und der Bezirksregierung Düsseldorf vom Kreis Viersen mit Öffentlichkeitsbeteiligung genehmigt worden sind. Der Bau wurde vom Land NRW gefördert. Mit Hilfe der beweglichen Steuerorgane der Anlage ist es möglich, die Wasserstandsschwankungen im großen De-Witt-See zwischen Normalwasser und hundertjährigem Hochwasser auf maximal 16 cm zu begrenzen. Dies war erforderlich, weil der Ablauf an der Leuther Mühle und der Wasserspiegel am Nettedamm begrenzt werden sollten. Bei Hochwasser fahren die Wehrklappen entsprechend herunter und leiten mehr Wasser in die Nettekuhlen. Dies passiert automatisch und wird vom Wasserstand im De-Witt-See gesteuert. Aus Sicherheitsgründen sind zwei Wehrklappen vorhanden, damit beim Versagen einer Wehrklappe theoretisch die verbleibende Wehrklappe in der Lage wäre, die Wassermengen schadlos abzuführen. Somit dient die Anlage also unmittelbar dem Hochwasserschutz und reguliert wasserstandabhängig den Spiegel des großen De-Witt-Sees.
Ausweisung des Großen De-Witt-Sees als Naturschutzgebiet und Nutzung zur Trinkwassergewinnung?
Die Interessengemeinschaft behauptet, dass es einen Antrag zur Ausweisung des großen De-Wittsees als Naturschutzgebiet gab, gegen den Bürger in letzter Minute Einspruch eingelegt haben. Da dem Netteverband ein solcher Antrag nicht bekannt war, wurde beim Kreis Viersen nachgefragt. Antwort: Der große De-Witt-See ist gemäß dem Landschaftsplan Nr. 2 Landschaftsschutzgebiet. Eine darüberhinausgehende Ausweisung als Naturschutzgebiet war und ist nicht geplant! Wassersport ist dort weiterhin möglich!
Auch die Behauptung die Netteseen dienen als Trinkwasserreservoir ist irrig. Die Trinkwasserversorgung erfolgt im Nettegebiet mit Tiefbrunnen aus nach wie vor ausreichend vorhandenen Grundwasservorkommen. Eine Gewinnung von Trinkwasser aus Nette und Netteseen ist also gar nicht notwendig, zudem würden die notwendigen Entnahmen aufgrund des geringen sommerlichen Wasserdargebots mit Sicherheit zu Engpässen in der Wasserversorgung führen, von den Folgen für die ökologisch wertvollen Feuchtgebiete im Nettetal einmal ganz abgesehen. Eine Entschlammung des großen De-Witt-Sees zur Speicherung von Trinkwasser ist somit, anders als von der Interessengemeinschaft behauptet, keine Maßnahme zur Umsetzung der EG-WRRL.
5) Ist eine Entschlammung des großen De-Witt-Sees die Lösung aller Probleme?
Wie erläutert, lässt sich eine Entschlammung, also eine technische Entfernung des vor allem in der Vergangenheit entstandenen Schlamms, gegenwärtig wasserwirtschaftlich und ökologisch kaum begründen. Für das Erreichen der Ziele der EG-WRRL ist sie nicht notwendig, für den Hochwasserschutz ist sie weitgehend irrelevant und die Nutzung von Nette und Netteseen als Trinkwasserreservoir ist unrealistisch!
Profitieren von einer Entschlammung könnten allerdings diverse Nutzer. Zu nennen sind hier die am See tätigen Vereine (Wassersportverein De-Witt-See, Angelsportverein Seerose) sowie die Restaurant- und Campingplatzbetreiber. Auch zahlreiche Spaziergänger und auswärtige Besucher zeigen vielfach Interesse an der Thematik Entschlammung. Auslöser ist bei Letzteren oft der subjektiv als schlecht empfundene durch Massenvorkommen von Wasserpflanzen (sog. Wasserpest, Wasserlinsen) und sog. Blaualgen ausgelöste optische Eindruck. Der Netteverband erkennt die Interessen der Nutzer hierbei ausdrücklich an und bedauert vor allem die zeitweisen Nutzungsbeschränkungen für die betroffenen Vereine.
Doch reicht dies aus, um eine Entschlammung zu rechtfertigen und bringt diese auch tatsächlich die gewünschten Ergebnisse?
Sollten die Stadt Nettetal als Eigentümer des Sees und die Gremien des Netteverbandes einer Entschlammung zustimmen, müsste die Maßnahme erst einmal genehmigt werden. Um bei einem so großen Vorhaben Rechtssicherheit zu erlangen, wäre ein Planfeststellungsverfahren erforderlich, an dessen Ende idealerweise ein Planfeststellungsbeschluss stünde. Zuständige Genehmigungsbehörde wäre der Kreis Viersen. Erfahrungsgemäß dauert ein solches Verfahren mehrere Jahre, wobei die eigentliche Umsetzung erst nach erfolgreichem Abschluss des Verfahrens durchgeführt werden kann. Die Umsetzung selbst, würde wahrscheinlich ebenfalls ca. 2-3 Jahre in Anspruch nehmen.
Während des Verfahrens müssten der genaue Umfang der Maßnahmen, die Art der Durchführung sowie die Entsorgung des entnommenen Materials ausführlich dargestellt werden. Neben erforderlichen umfangreichen Analysen des Schlammes, wären auch diverse und aufwendige naturschutzfachliche, artenschutzrechtliche und fischereiliche Untersuchungen notwendig. Im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) würden die Auswirkungen der Gesamtmaßnahme auf die Umwelt geprüft. Im Rahmen des vorgeschriebenen Beteiligungsverfahrens, würden zahlreiche Träger öffentlicher Belange und weitere Betroffene um Stellungnahme gebeten werden.
Ein zentraler Aspekt des Verfahrens wäre der Nachweis einer Erforderlichkeit der Entschlammung. Da das Vorhaben weder ökologisch noch wasserwirtschaftlich zwingend erforderlich ist, verbleibt für eine Begründung also im Wesentlichen die Aufrechterhaltung von Nutzungen. Ob dies für die Erteilung eines Planfeststellungsbeschlusses ausreicht, erscheint völlig ungewiss. Wir schätzen, dass allein die Planungskosten für die Durchführung des Planfeststellungsverfahrens mit mehr als 100.000 € veranschlagt werden müssen.
Sehr problematisch erscheint auch die weitere Finanzierung. Bei einer Größe von 24 ha und einer Entschlammungstiefe von 0,8 m würden dem See ca. 200.000 m³ Schlamm entnommen, bei größeren Tiefen entsprechend mehr. Zwar existiert bislang keine Kostenermittlung, nach vorliegenden Erfahrungswerten würden die Kosten aber sicherlich deutlich im zweistelligen Millionenbereich liegen. Von der für die Erteilung von Fördermitteln des Landes NRW zuständigen Bezirksregierung Düsseldorf haben wir in diesem Zusammenhang die eindeutige Aussage bekommen, dass Entschlammungen grundsätzlich nicht gefördert werden. Somit müssten alle Kosten vollständig umgelegt werden, im Endeffekt müssten sie damit von den Nutzern und/oder den Bürgern im Einzugsgebiet der Nette bezahlt werden.
Neben den Zweifeln an den ökologischen und wasserwirtschaftlichen Nutzen bestehen weitergehend auch Zweifel daran, ob Nutzungen nach der Entschlammung tatsächlich uneingeschränkt möglich sind. Mit der Entfernung von im Mittel 0,8 m Schlamm würde die Tiefe des großen De-Witt-Sees auf durchschnittlich 2,1 m erhöht. Auch bei dieser Tiefe sind weiterhin Massenvorkommen von Wasserpflanzen möglich. Hier kann beispielhaft, die Entwicklung der „Wasserpest“ (Elodea nuttallii) im viel tieferen Baldeneysee an der Ruhr herangezogen werden, welche dort seit Jahren ein Problem ist. Gleiches gilt für die massenhafte Ausbreitung von Wasserlinsen sowie für Blaualgenblüten, für welche die Wassertiefe nachrangig ist, was an anderen Netteseen (z.B. Nettebruch) zu beobachten ist.
Zusammenfassend vertreten wir die Meinung, dass für eine Entschlammung des großen De-Witt-See gegenwärtig nur eine sehr dünne Legitimationsgrundlage besteht! Um die tatsächlichen Probleme des Sees in den Griff zu bekommen, zu nennen ist hier vor allem die weiterhin zu hohe Zufuhr von Nährstoffen aus einem dicht besiedelten und intensiv genutzten Einzugsgebiet, erscheint eine Entschlammung wenig geeignet. In der jüngsten Vergangenheit wurden vor allem durch den Niersverband erhebliche Anstrengungen unternommen, die Reinigungsleistung der Kläranlagen und weiterer abwassertechnischer Anlagen zu verbessern. Mit dem geplanten Neubau der Kläranlage Breyell und weiteren Retentionsbodenfiltern wird dieser Weg auf hohem Niveau weiter fortgesetzt. Wann sich diese Maßnahmen positiv auf die Netteseen auswirken, können wir nicht sagen, dass dies irgendwann passiert, davon sind wir überzeugt.
*) Ein Überblick über die durchgeführten Entschlammungen findet sich in der im Heimatbuch des Kreises Viersen 2020 veröffentlichte Arbeit „50 Jahre Netteverband“ von Th. Schmitz und M. Heußen.